Eltern haben Kinder im Griff

Mütter und Väter kommen mit der Erziehung offenbar besser klar als angenommen - Studie über das neue Lebensgefühl der Familien in Deutschland. Trotzdem auch für die Schweiz aufschlussreich.


Berlin - Wer die kulturpessimistischen Diskussionen über "Erziehungsnotstand" und "Bildungsmisere" verfolgt und sich zudem in regelmäßigem Abstand von TV-Krisenpädagogin Katharina Saalfrank alias "Super Nanny" in die verwahrlosten Wohnzimmer dieser Republik entführen lässt, bekommt ein düsteres Bild geliefert. Immer mehr Eltern, so scheint es, sind mit ihrer Aufgabe heillos überfordert.

Ein alarmistischer Grundtenor, der mit der Selbstwahrnehmung der meisten Familien offenbar wenig zu tun hat: Die meisten Eltern in Deutschland kommen nach eigener Einschätzung mit der Erziehung ihrer Kinder gut klar. Das geht aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift "Eltern" hervor, die jetzt in Berlin vorgestellt wurde. Demnach haben 47 Prozent der 1000 befragten Mütter und Väter von Kindern unter elf Jahren eine klare Vorstellung von der Erziehung und setzen sie meistens problemlos um. 41 Prozent der Eltern gaben zu, hin und wieder Zweifel zu haben und Rat bei Freunden, Familienmitgliedern oder in Erziehungsbüchern zu suchen. Nur fünf Prozent gaben an, schon einmal professionelle Hilfe bei Erziehungsexperten gesucht zu haben.

"Viele Eltern haben den Eindruck, vor allem als überforderte Problemgruppe wahrgenommen zu werden", sagt "Eltern"-Chefredakteurin Marie-Luise Lewicki. Das Ergebnis der Umfrage gebe Anlass zur Kollegenschelte, so die Journalistin: "Die Eltern fühlen sich in Sippenhaft genommen." 72 Prozent der Befragten räumten zwar ein, dass die schwierige Lage von Familien mittlerweile ins Bewusstsein der Öffentlichkeit vorgedrungen sei, 65 Prozent kritisierten jedoch, dass in der öffentlichen Darstellung zu schnell Rückschlüsse von negativen Einzelfällen auf alle Eltern gezogen würden. Unter ihnen gebe es ein breites Unverständnis für diesen medial befeuerten Negativbefund. "Die meisten Eltern machen unter schwierigen Bedingungen einen sehr guten Job. Die Anerkennung in der Gesellschaft sei für sie aber nicht spürbar", so Lewicki.

Die Studie, die dem derzeitigen Lebensgefühl junger Eltern erstmals auf solider empirischer Grundlage nachgeht, dürfte in der familienpolitischen Debatte für einiges Aufsehen sorgen. Denn auch zum ewigen Zankapfel des gesellschaftspolitischen Gestaltungswillens, dem Rollenverständnis der Geschlechter, wurden die Eltern befragt. Offenbar ist auch hier die Unzufriedenheit nicht so groß wie oftmals behauptet.

62 Prozent der Befragten wünschen sich eine Familie, in der beide berufstätig sind und sich die Kinderbetreuung teilen, nur 29 Prozent gaben aber an, dass dieses Modell der aktuellen Arbeitsteilung in der Familie entspreche. Gleichermaßen überraschend wie erfreulich ist jedoch, dass diese unleugbare Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit den Eltern offenbar kaum Kopfschmerzen bereitet: Demnach sind 97 Prozent der Männer und 87 Prozent der Frauen mit ihrer jetzigen Arbeitsteilung zufrieden. Dabei sind die Familienmodelle etwa gleich stark vertreten: 30 Prozent der Befragten leben das "traditionelle" Familienmodell (der Mann ist berufstätig, die Frau kümmert sich vorrangig um die Kinder). Bei 29 Prozent der Befragten sind beide Eltern berufstätig und kümmern sich gleichermaßen um die Kinder. "Mit der Geburt des Kindes setzt ein Traditionalisierungsschub ein", erläutert Beate Minsel, Psychologin am Staatsinstitut für Frühpädagogik. Die Familien finden sich nach der Geburt ihres Kindes wegen der Rahmenbedingungen in traditionelleren Rollenverteilungen wieder, obwohl sie zuvor andere Vorstellungen hatten. Die Idealvorstellungen blieben auch erhalten, so die Psychologin, dennoch seien die meisten nicht unzufrieden, sondern pragmatisch - nicht zuletzt weil sie Freude am Heranwachsen ihrer Kinder hätten.

Weniger rosig sehen die Eltern dagegen ihre finanzielle Situation. Insgesamt befand ein gutes Drittel der Befragten, dass man in Deutschland mit Kindern nicht gut leben kann. Als Hauptgrund nannten sie zu hohe Lebenshaltungskosten, 82 Prozent beklagten zu wenig finanzielle Entlastung durch den Staat. Die 189 Milliarden Euro, die der Staat jährlich für Leistungen wie Ehegattensplitting und Kindergeld ausgibt, "kamen offensichtlich bei den Familien nicht an - zumindest nicht im Bewusstsein", meint "Eltern"-Redakteurin Anke Willers.

Auch in puncto Vereinbarkeit von Beruf und Familie sorgt die Umfrage für eine Akzentverschiebung: Während in der familienpolitischen Diskussion das Beispiel des hoch qualifizierten Doppelkarriere-Paars bemüht wird, lenkt die Forsa-Umfrage den Blick auf Geringverdiener und weniger Qualifizierte. So gaben 57 Prozent an, sie hätten gerne mehr Zeit mit ihren Kindern, aber die Arbeitswelt habe hierfür kein Verständnis. Deutlich größer als der Durchschnitt war der Anteil aber unter den Befragten mit Hauptschulabschluss (68 Prozent). Der Spagat zwischen Beruf und Familie ist wohl alles andere als ein Luxusproblem von Karrierefrauen.

Quelle: Welt Online
Text: David Deissner

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